Literaturnobelpreis 1923: William Butler Yeats

Literaturnobelpreis 1923: William Butler Yeats
Literaturnobelpreis 1923: William Butler Yeats
 
Der irische Schriftsteller erhielt den Nobelpreis, weil seine inspirierten Werke in vollendeter künstlerischer Form dem Geist seines Volkes Ausdruck verliehen.
 
 
William Butler Yeats, * Dublin 13. 6. 1865, ✝ Roquebrune-Cap Martin (Frankreich) 28. 1. 1939, 1883-86 Studium der Kunst in Dublin, Übersiedlung nach London, 1896 Rückkehr nach Irland und Beteiligung an der national-revolutionären Bewegung, 1899 Mitbegründer und (bis zu seinem Tod) Leiter des Irish Literary Theatre, 1922-28 Senator des Irischen Freistaats.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Im Jahr 1911 hatte Yeats viele seiner großen Dramen, für die er 1923 den Nobelpreis erhielt, bereits geschrieben. Damals wurde er als »zu dunkel« abgelehnt, gemeinsam mit Henry James und George Bernard Shaw. Als das Komitee nach dem Ersten Weltkrieg sein klassizistisches Ideal aufgegeben hatte, konnte Yeats der Preis mit zwölfjähriger Verspätung zuerkannt werden. Der Zeitpunkt der Verleihung war keineswegs zu spät, denn als einer der wenigen Preisträger schrieb Yeats die meisten Werke, für die er heute berühmt ist, erst nach der Preisverleihung.
 
 Dublin—London und zurück
 
1922 hielt das Komitee noch Jacinto Benavente für preiswürdiger als Yeats, 1923 aber wurde er Thomas Hardy vorgezogen. Zwar war Yeats auch für das neue Komitee unter der Leitung von Per Hallström »zu dunkel«, der künstlerische Wert seiner Werke wurde nun jedoch anders eingeschätzt. Er genügte den Forderungen nach Einfachheit und gehobener Volkstümlichkeit. An seinen frühen Dramen wurden vor allem »lyrische Schönheit, Musik und Gefühl« hervorgehoben. Den großen Stil, auf den es dem Komitee ankam, habe Yeats am ehesten in »The King's Threshold« (1904) erreicht, obgleich es ihm an Kraft mangele.
 
Yeats fühlte sich schon als Kind zum Dichter berufen, studierte jedoch unter dem Einfluss seines Vaters, eines bekannten Porträtmalers, zunächst Kunst. Das Studium brach er ab, um zu dichten. 1883 besuchte Yeats einen Vortrag des Iren Oscar Wilde, der ihn Weihnachten 1888 in London, wo Yeats jetzt wohnte, aber keine Familie hatte, zum Essen einlud. Als Wilde wegen seiner Homosexualität vor Gericht stand, suchte Yeats ihn durch öffentliche Propaganda zu verteidigen. Wilde war zweifellos ein wichtiger Einfluss für Yeats' erste bedeutende Schriften, das Epos »The Wanderings of Oisin« (Die Wanderungen Oisins) und die Lyriksammlung »Crossways«, die 1889 erschienen. Im selben Jahr begann seine unglückliche Liebe zur Schauspielerin Maud Gonne, die ihn dazu animierte, sich bei seiner Rückkehr nach Irland 1896 der revolutionären Bewegung anzuschließen.
 
Im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts entwickelte Yeats in Dramen und Gedichten eine symbolistische Auffassung der Natur. Beeinflusst wurde er durch die zeitgenössischen französischen Strömungen. Dabei stand er im Spannungsfeld zwischen London und Irland, was sich auch sprachlich niederschlug. Kristallisationspunkt war der Anschluss an eine mythologisch ausgedeutete irische Tradition. In seiner Preisrede hob Per Hallström zwar die besondere Form »keltischer« Dichtung hervor, die William Butler Yeats entwickelte, brachte sie aber in Zusammenhang mit grundlegenden philosophischen Vorstellungen. Yeats hatte sich nicht nur mit Theosophie, Spiritismus und der irischen Tradition beschäftigt. Er verfügte auch über einen intuitiven, geradezu pantheistischen Zugang zur Natur. Das Londoner Stadtleben bildete zur irischen Landschaft, die er als Kind im Landhaus seiner Eltern kennen gelernt hatte, ebenso einen negativen Kontrast wie die verdinglichte naturwissenschaftliche Denkweise.
 
 Irische Dramen
 
Die für das Nobelkomitee preiswürdigen Dramen verarbeiten allesamt Stoffe aus der irischen Tradition in »einfacher« und »volkstümlicher« Weise. In seiner Rede lobte Hallström daneben immer wieder die stilistische Einheitlichkeit und das hohe künstlerische Niveau. Bei den Dramen handelt es sich um die zwischen 1892 und 1910 entstandenen Stücke »Die Gräfin Cathleen« (1892), »Wunschland des Herzens« (1894), »Cathleen ni Houlihan« (1902), »The King's Threshold« (1904) und »Deirdre« (1907).
 
Am erstgenannten, Maud Gonne gewidmeten Stück, das in Irland nach seiner ersten Aufführung 1899 wegen unirischer und blasphemischer Tendenzen angegriffen wurde, hat Yeats lange gearbeitet, bis er es »in jeder Hinsicht keltisch und irisch» fand. An ihm wie an »Wunschland des Herzens« gefielen dem Nobelkomitee besonders die lyrischen und melodischen Aspekte. Alle genannten Stücke wurden auch von den Zeitgenossen eher wegen ihrer poetischen als wegen ihrer dramatischen Eigenschaften geschätzt. In »Cathleen ni Houlihan« hat Yeats den irisch-nationalistischen Ansatz noch deutlicher entwickelt. Die Hauptperson, eine Landstreicherin, personifiziert Irland in seinem Freiheitskampf. Die Aufführung provozierte eine heftige Auseinandersetzung, in deren Verlauf sich Yeats offen zum irischen Nationalismus bekannte.
 
In »The King's Threshold« stand wieder die Kunst im Vordergrund. Yeats versuchte zu zeigen, dass die Dichtung dem menschlichen Leben Schönheit und Wert verleihe. Die Tragödie »Deirdre« schließlich war als Gesamtkunstwerk angelegt. Die Zeitgenossen betrachteten das Stück zwar als Fortschritt gegenüber dem Frühwerk, sie waren sich allerdings nicht einig, worin er bestehen sollte. Klar war lediglich, dass Yeats das Drama als Kunstform interpretierte, das alle anderen Künste in sich vereinigen könne.
 
 Yeats in Irland
 
Nach 1910 wandte sich Yeats vom Stil und Gehalt der früheren Dramen ab, für die er den Preis erhielt. Seine späteren Stücke sind esoterisch und lediglich für ein kleines Publikum geschrieben. Er experimentierte viel mit Masken, Tanz, Musik und den Mitteln des japanischen No-Spiels. Die Interpretation der Dramen ist noch heute unklar. Im eher theoretischen Werk »A Vision« (1926) vereinigen sich okkultistische, künstlerische, autobiografische und philosophische Momente, sodass man das Buch oft als Deutungsanleitung für die schwer verständlichen Stücke, zumindest aber als Ausdruck seines Denkens betrachtet hat. Die Abfassung des Buchs geht auf Yeats' Flitterwochen 1917 zurück. Seine Frau, ein spiritistisches Medium, lehrte Yeats das »automatische Schreiben«. In einer Art bewusstloser Formulierung hat er die wichtigsten Gedanken des Werks zu Papier gebracht und im Nachhinein als mystische Offenbarung betrachtet.
 
Zu dieser Zeit war Yeats' Bedeutung — nicht nur durch den Nobelpreis — bereits unumstritten. Neben seiner öffentlichen Wirkung übte er auch persönlichen Einfluss aus. Bereits 1902 hatte er James Joyce kennen gelernt. Später unterstützte er den jüngeren Iren in London sogar bei der Arbeitssuche. Einen weiteren Iren, Samuel Beckett, wusste er dadurch zu erfreuen, dass er bei ihrem ersten Treffen einige Zeilen aus einem seiner Werke zitierte.
 
Heute gehört William Butler Yeats zu den meistkommentierten englischsprachigen Autoren. Die Vergabe des Nobelpreises an ihn ist über alle Zweifel erhaben. Sein heutiger Ruhm basiert allerdings in erster Linie auf seinem lyrischen Spätwerk, den Gedichtbänden »Michael Robartes and the Dancer« (1921), »The Tower« (1928), »The Winding Stair and Other Poems« (englisch; Die Wendeltreppe und andere Gedichte; 1933) und »Last Poems« (englisch; Letzte Gedichte; 1940). Immer mehr versuchte Yeats, die existenzielle Erfahrung des Dichters und das Ideal der Schönheit in den Mittelpunkt zu rücken. Gleichzeitig kritisierte er den Hass der irischen Nationalisten und die Selbstvergessenheit der modernen Welt.
 
B. Rehbein

Universal-Lexikon. 2012.

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